Prolog:
Was sind eigentlich „magische" Momente"?
Wann immer ich während der Entstehung dieses Buches gefragt wurde, woran ich gerade schreibe, erfolgte auf meine Auskunft fast immer die gleiche Reaktion: Magische Momente"!? wurde zunächst als erstaunter Ausruf und Frage zugleich intoniert und dann, im murmelnden Selbstgespräch, mehrmals wiederholt. Um die wachsende Ratlosigkeit abzuschütteln, bediente man sich reflexhaft höflicher Bemerkungen wie „na toll", „das ist aber spannend", oder „ein ganz zauberhaftes Thema ist das". Es war Freundlichkeit und bestenfalls eine Ahnung, die diesen Beurteilungen zugrunde lag, aber kein konkreter Sachbezug. Das zeigte sich schnell in den anschließenden Gesprächen darüber, denn wie das Amen im Gebet folgte das Einbekenntnis: „Also, ich habe in meinem Leben noch nie einen magischen Moment erlebt."
Das behauptete zum Beispiel auch Bruni unlängst in einer Freundesrunde. Am nächsten Tag rief sie mich hochgestimmt an und sagte: „Du, mir ist auf der Fahrt nach Hause ein magischer Moment eingefallen, wenn du willst, kann ich ihn dir erzählen." Natürlich wollte ich. Wir trafen uns zu einem späten Sundowner und entsprechend eingestimmt hat sie mir Folgendes anvertraut:
„2017 lebte ich noch in Kolumbien. Ich hatte einen Freund namens Pedro, der in San Bernardo del Viento aufwuchs; dort wo der Río Sinú in die Karibik mündet. Während meines ersten Besuches in seinem Elternhaus lud er mich eines Abends ein, mit ihm einen Ausflug zu machen. ,Heute ist Neumond', sagte er, ,das müssen wir ausnützen, ich will dir was zeigen.' Er borgte sich ein kleines Fischerboot und wir fuhren in Richtung einer kleinen, vorgelagerten Insel. Unweit des Ufers ankerten wir in einer Bucht. Schnell wurde es finster und die Palmen waren kaum noch zu sehen. Wir legten uns auf die harten Planken und blickten in den Sternenhimmel. Wie in einem riesigen Planetarium war das. In dieser mondlosen Nacht schaute die Milchstraße wirklich so aus, als hätte man auf dem Asphalt Milch ausgeschüttet. Ich war wie paralysiert. ,Jetzt komm, wir wollen schwimmen‘, sagte Pedro. Ich hatte Scheu, ins schwarze Wasser zu springen. ,Komm, trau dich, du wirst es nicht bereuen‘. Ich sprang - und ich werde diesen Moment nie vergessen: Es war, als würden Milliarden von Leuchtkäfern aufblitzen, so als wäre die Milchstraße ins Meer gefallen. Mit jeder Schwimmbewegung schien es, als würde ich wegen dieser Bioluminiszenz in Sternen schwimmen: Sterne ober mir, unter mir und rundherum und ich mittendrin. Es war wie im Märchen. Gibt's da nicht das Grimm-Märchen von den goldenen Sterntalern, die ein armes Mädchen mit seiner Schürze auffängt? Deutsch ist nicht meine Muttersprache, aber das Wort toll ist zu wenig für dieses Erlebnis. Vielleicht sollte man überirdisch sagen, denn irgendwie war es nicht von dieser Welt. Ich wusste schon vorher, dass ich - wie wir alle - aus Sternenstaub gemacht bin, aber seither habe ich eine metaphysische Dimension dazugewonnen."
Es wird wohl niemand geben, der diese Sternstunde nicht ebenso wie Bruni als märchenhaft und wunderschön erlebt hätte.
Aber nicht jeder hätte es darüber hinaus auch als etwas die Sinne Überschreitendes wahrgenommen, als etwas, das einem nicht nur zu Herzen geht, sondern auch gleichzeitig Seele und Geist anrührt. Etwas, das nicht nur rührselig oder gewaltig und wunderbar ist, sondern einen transzendenten Anflug hat, eine Art unbeschreiblichen Zauber, der als solcher eben als magisch erlebt wird. Auf der Ergründung eben dieses „Etwas" liegt das Hauptaugenmerk dieses Buches.